Die drei Gentlemen, die auf der Bühne bonbonbunte Anzüge tragen, stammen aus einer Zeit, als Fans in sentimentalen Momenten brennende Feuerzeuge emporhielten. Heute knipst man die Lampe des Taschentelefons an, die tausendfach in der dunklen Halle leuchtet. Kalte neue Konzertwelt, die nicht mehr so heimelig ist. Am schlimmsten aber ist der Dokumentierungsdrang. Viel zu viele konzen­ trieren sich voll darauf, mit dem Foto-Handy den Moment für die Nachwelt festzuhalten, statt ihn zu genießen.
Christian Langer, der Sänger von den Füenf, der erfolgreichsten Boyband Stuttgarts, hat bei Take That, dem britischen Boyband-Wunder der 1990er, in der Schleyerhalle vor lauter Genuss nach dem ersten, vor dem Konzert geschossenen Selfie sein Handy nicht mehr ausgepackt.

Christian Langer von den Füenf beim Konzert von Take That

Christian Langer von den Füenf beim Konzert von Take That

Nicht nur die Gemütlichkeits-Lichtquellen bei Balladen haben sich verändert, sagt er: „Früher ging’s bei Take That um fünf heiße Typen, die sich oben ohne zu eingängiger Charts-Musik einen abstrampeln, damit die Mädels kollabieren. Heute kollabieren die 40-jährigen Frauen, weil sie zu wenig gegessen haben.“
Keiner von uns kollabiert. Gut, wir sind keine 40-jährigen Frauen. Wir stehen in einer kleinen Gruppe vor der Mittelbühne, die ins Innere der Halle ragt. Christian, unser Experte, soll beim Praxistest erklären, wie das ist, wenn eine Boyband erwachsen wird. Auch er ist ein Ex-Boy und will nah ran – dann sei das Konzerterlebnis umso intensiver. Wir gehen mit und können uns trotzdem frei bewegen – es ist nicht ausverkauft, also nicht vollgestopft. Später sehen wir bei Facebook, dass andere wie der Entertainer Michael Gaedt von Sitzplätzen der Tribüne Fotos aus sicherer Entfernung gepostet haben.
Was ist schlimmer? Wenn man bei einem Popkonzert bequem hockt? Oder wenn Pophelden von einst beim dritten Comeback die Halle nicht mehr voll bekommen? Damit leere Reihen die Band nicht erschrecken, haben die Veranstalter unter Flüchtlingen viele Karten verschenkt.
Vor dem Konzert spotten wir alle noch. Wir reden über Wein, bei dem man nicht weiß, ob er am besten ist, wenn er alt ist, oder ob er schon gekippt ist. Am Ende aber überrascht uns Christian, der Justice von den Füenf, mit seinem euphorischen Urteil. „Ich traue es mich ja fast nicht zu sagen“, sagt er, „aber das war eine der besten Shows, die ich je gesehen habe. Perfektes Entertainment. Eigentlich wie ein Musical, nur mit besseren Sängern, besseren Tänzern, besseren Show-Effekten – und vor allem mit besseren Songs!“
 Vor 25 Jahren hat die nur noch dreiköpfige Band Take That zu fünft angefangen. Die A-cappella-Band Die Füenf, die gerade den 20. Geburtstag gefeiert hat, ist immer ein Quintett geblieben. „Unser Konzept basiert auf fünf Stimmen und Typen“, sagt Langer, „manche Arrangements würden zusammenfallen, wenn eine Stimme wegbricht.“ Bei Take That sei das anders: „Die singen nicht zu dritt, sondern die ganze Backing-Band singt mit. Die Chöre sind teilweise sechsstimmig. Jeder des Trios darf mal Leadsänger sein, und die anderen machen Uuuuh oder singen eine zweite oder dritte Stimme in einem Refrain.“ Wichtig sei, dass sie gemeinsam gute Laune verbreiten. Justice schwärmt: „Marc und Howard tanzen fantastisch für Mitte 40. Ich kollabiere schon, wenn ich zur S-Bahn rennen muss!“
Die Schleyerhalle ist nicht voll. Und doch, so lobt Justice, haben sich die drei den Allerwertesten aufgerissen, als würden sie für jeden Einzelnen kämpfen, der da ist, damit er beim nächsten Mal wieder eine Karte kauft. Sollten sie wiederkommen, versprochen, sparen wir alle Altersfragen aus. Kein Mensch kann ewig ein Boy bleiben. Wie gut das ist, Männer, haben wir bei diesem Konzert erlebt.

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