Wäre der Fernsehturm ein Mensch, würde sich keiner wundern: Mit 57 Jahren darf man schon mal  die Krise kriegen.  Beim längsten, alles überragenden  Liebling  der Stadt  ist’s eine  Existenzkrise. Kann das alles wahr sein mit unserem Wahrzeichen? 

Der Himmel ist in Stuttgart nicht für alle offen. Oben bleiben? Nein, als OB lässt Fritz Kuhn  keinen mehr hoch und spricht von einer Todesfalle. Die Mitarbeiter des Turms hocken offenbleibunten. Fast alle sind an ihrem freien Tag gekommen. Sie machen Buttons, auf denen „Offen bleiben“ steht. Bis Karsamstag  gingen schon 1000 Buttons weg.  So unglücklich sieht der Turm darauf gar nicht aus.  Er lacht. Freut sich wohl über die große  Solidarität, die tollen  Liebesbeweise und die vielen Unterschriften (am Eingang liegen Listen aus).  Der Turm als Smiley – von Herrn Kuhn kann man das bestimmt nicht sagen. Ihm ist das Lachen vergangen. Der Mann ist nicht zu beneiden. Ein Glück, dass wir nicht seine Entscheidung in Sachen Brandschutz treffen mussten. Und ein Glück, dass er nicht hört, wie die Leute über ihn herziehen am Fuß des Fernsehturms. Man kann auch oben offen bleiben, Herr Kuhn!  Der Grüne, so scheint es, steckt in der ersten schweren Krise seiner Amtszeit. Viele Bürger sind sauer auf ihn. 

Der SWR kann Tipps geben., Mit Krisen kennt sich der Sender, Besitzer des Fernsehturms, ja   aus. Vor Ostern  hat der SWR    jeden Abend zur Primetime eine „Echtzeitserie“ gebracht. Kein Quotenknüller war’s, aber   mit dem Wort  „Echtzeit“ könnte der SWR  das  „Unwort des Jahres“ liefern.   Bei „Zeit der Helden“ (so der Titel der TV-Serie über die Leiden in der Lebensmitte) war   die Zeit nicht  mal echt,  also gar nix live. Wie  viel Krise passt in eine Woche? Knatsch mit Kindern, Sexfrust, Ehestumpfsinn, verpasste Träumer, Demütigungen bei der Arbeit von jüngeren Kollegen  – puuh , bei so viel  Krise würde man  am liebsten vom Fernsehturm runterspringen. Aber nicht mal das geht mehr!

Mitten drin im Leben oder schon außen vor? Kürzlich war ich zu einem 40. Geburtstag ins Bistro  Brenner im Bohnenviertel eingeladen. Der Gastgeber forderte Beistand, da  er doch jetzt – so schrieb er in der Einladung – sein „Verfallsdatum“ erreicht habe. Ich überlegte, wie  ich  den jungen Mann am besten  trösten könnte, da ich diese Hürde  schon lange genommen habe. Sollte ich ihm was von junger Ungeduld erzählen, von Spontanität, die  auch nach  40   bleibt, vom  Wert der Erfahrung und vom Überblick, den man nun hat?  Verfallsdatum!    Noch bevor ich sagen konnte, was für  ein Quatsch das sei, schaute mich der Neu-Vierziger irritiert an. „Aber das mit dem Verfallsdatum war nur ein Witz“, sagte er, „ich weiß doch, dass sich nach 40 nicht viel ändert und eigentlich alles gleich bleibt.“

Witz hilft in vielen Lebenslagen.  An Witz fehlt es der Echtzeit-Serie des SWR  jedoch leider sehr. Ob er  „Die Zeit der Helden“   anschaut,  fragte ich das Geburtstagskind.  „Bin ich verrückt“, antwortete der Freund, „soll ich mir  jeden Tag  freiwillig reinziehen,   wie Scheiße dieses Alter ist?

So  dachten viele.  Die Quoten des TV-Schwerpunkts hätten kaum schlechter sein können. Der Marktanteil lag zwischen mickrigen  zwei und drei Prozent – dabei waren die schauspielerischen Leistungen exzellent und die Story stimmte an manchen  Stellen. Doch kaum ein Zuschauer ist ein so großer Held der Zeit, dass  er dieses ewige Gejammer  ertragen kann. Wumm! Wir schalten  um! Wir zappen uns  nun zu den Höhepunkten  der Lebensmitte!   Ich hab’ mich bei   Menschen über 40    umgehört.  Wie schafft man es, oben zu bleiben?

Der Kabarettist  Klaus Birk beschreibt  das Positive am Älterwerden  so: „Man wird mutiger, bekennt sich mehr zu sich selbst. Weiß, was man will. Ist zu alt, um sich  verleugnen.“ An Ostermontag wird  Gastrosoph Bernd Heidelbauer 66 Jahre alt  und freut sich: „Die Sicherheit, richtig zu entscheiden, bekommst du erst in diesem Alter.  Vorher zweifelst du mehr an deinem Können, ab der Lebensmitte mehr am Verlust der Jugend, ab 60 zweifelst du nur  selten. Du glaubst, vieles zu wissen und gelebt zu haben – aber es kommt immer noch was Tolles.“

Inge RinkhoffDie Stuttgarter Immobilienmaklerin  Inge Rinkhoff (Foto), bekannt aus der TV-Serie „Die Perlen von Marbella“, rühmt die Reife: „In der Erotik ist man erfahren und  hemmungslos, die erotische Wahrnehmung  ist voll entwickelt. Im  Beruf sind  Selbstbewusstsein und Geschick  erblüht, neue Herausforderungen  werden ehrgeizig erstürmt.“ Travestiekünstlerin Frl. Wommy Wonder  fühlt sich in der Lebensmitte  gelassener: „Ich ärgere mich nicht mehr so  sehr  über unsinnige Sachen. Es  zieht mich nicht mehr so um die Häuser, und ich hab’ trotzdem nicht das Gefühl, Wesentliches zu verpassen. Ein gewisser Verfall ist festzustellen,  aber das gehört zum Leben. Vielleicht war’s in dieser Hinsicht  lehrreich, dass mein Vater Bestatter war und ich mit den Unwägbarkeiten des Lebens aufgewachsen bin und schon früh vertraut war. Außerdem ist Mitte 40 heute wesentlich angenehmer zu erleben als Mitte 40 vor ein paar Jahrzehnten.“

Entertainer Roland Baisch, mit seinem Programm „Grauer Star“ äußerst erfolgreich und deshalb ein Experte, holt uns auf den Boden zurück: „Ich sehe keine großen Vorteile des Alterns. Ein Onkel sagte mir früher:  Glaube niemandem, der die Segnungen des Alters preist! Alles tut weh, sehen und hören wird auch nicht einfacher! Und mein Großvater sagte: ,Die Guten sterben  jung, wir sind immer noch am Leben,  es war nicht so geplant, es hat sich so ergeben’“

 Eben. Da müssen wir halt durch.Und irgendwann  verbieten sie auch noch das Fliegen. Kein Flugzeug der Welt kann zwei Feuertreppen  zur Erde  mitschleifen. 

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