Ist das der Tod, den sich Männer wünschen? Manfred Naegele, der bis zur Senderfusion Ende der  1990er zu den bekanntesten Fernsehgesichtern  des SDR gehörte, ist 76 Jahre alt – also in einem Alter, in dem der  Blick auf die Todesanzeigen   schmerzhaft ist.  „Man liest   hier oft den eigenen  Jahrgang“, sagt er, „und viele sind auch noch wesentlich jünger.“

Manfred Nägele, fotografiert von Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer

Manfred Naegele, fotografiert von Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer

76 Jahre ist obendrein das Alter, in dem man gern   Erinnerungen zum Besten gibt. Naegele hat dies kürzlich als Redner im Rathaus getan, wo er  die großartige Foto-Schau  „Rotraits“ von  Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer gewürdigt hat (auch er gehört zu den Ausgestellten).  Eine Anekdote  handelte von einer  Todesurkunde, die man ihm in jungen Jahren als Bezirksnotar  in einer Nachlass-Angelegenheit vorgelegt hatte. Ein Mann war mit 50  gestorben. Als Todesort war die Adresse „Bebenhäuser Hof 2“ angegeben. Ein Raunen ging durchs Publikum.  Denn es ist die Adresse des Dreifarbenhauses, jenes wohl  ältesten Bordells der Stadt, das  1957 mit amtlicher Genehmigung gestartet war. Der Verstorbene  hatte seinen  letzten Schnaufer beim  Sex  gemacht.  Ein Tod, wie ihn sich Männer wünschen?

„Seine Kinder sagten schließlich, sie hätten ihrem Vater zum 50. Geburtstag den Bordellbesuch geschenkt“,  erzählte Nägele seinem amüsierten Auditorium.

In den 1960ern war er der jüngste württembergische Bezirksnotar. 1969 zog es ihn mit einem    Touch Marty Feldman zum Fernsehen, nachdem er bei einer Studentenparty  Ulrich Kienzle, den damaligen Chef der „Abendschau“, kennengelernt hatte. War  der Weg zu den Medien im Rückblick die richtige Wahl für ihn?  „Als Notar hätte ich mehr Geld gemacht“, sagt Naegele. Aber trotzdem ist er froh über seine damalige Entscheidung.

30 Jahre beim SDR. Es  waren Jahre, in denen es   die Fernsehleute   leichter hatten, wie der heutige Ruheständler, Autor, ­Galerist  und Stammgast des Bistros Brenner    meint.  Es waren wilde Jahre des Experimentierens, des Auflehnens, des Auf­deckens von Missständen. Heute vermisst Naegele  beim SWR   den kritischen Geist.  Einen Vorwurf will er    den amtierenden  TV-Journalisten   nicht machen „Die stehen  unter einem Wahnsinnsdruck“, sagt er, „bei uns war die Quote Nebensache.“

Sorgt das  Seichte für die besten  Quoten?  Unterhaltung kann   intelligent sein, wie der  hagere Herr mit der weißen Mähne auch mit  76 noch beweist.  Der Mann aus dem Asemwald  spricht  elegant und lässt sich doch bei seiner  Rede zu den  „Rotraits“ von einem Besucher bremsen. Der hatte dazwischengerufen, er solle mehr über die Künstlerin sprechen, weniger über sich selbst. Eigentlich wollte Naegele sagen,  wie sehr er die Stadt liebt –  die Liebe zu Stuttgart und ihren Machern ist schließlich  das Anliegen der  Fotografin.   Abrupt beendete er seine  Rede.  Schade! Wir hätten gern noch mehr Anekdoten von ihm gehört, die man in seinem Buch „Bildschirmverstörung“ nachlesen kann.

Wie er etwa    1975 als finstere Gestalt  für die „Tagesschau“  aus Stammheim  über den  RAF-Prozess berichtete.  Die Hamburger Kollegen lästerten: Was solle dieser  Zuhälter mit der schwäbelnden  Tonart?   Die Geschichte von  der Hasch-Torte ist auch nicht schlecht. Nach deren Genuss habe  einst der „Abendschau“-Chef an einer Dauererektion gelitten, weshalb  er sich  anderntags krankmelden musste. Immerhin hat der Kienzle  überlebt. Anders als der Gute vom Bebenhäuser Hof.

Der Naegele wird noch viel aufschreiben. Gerade arbeitet er an einem Roman,  Das Älterwerden  ist kein Spaß, sagt er  und weiß ein Mittel, wie man damit umgeht. Nicht daran denken, wie alt man ist, einfach leben. Noch etwas gehört für ihn dazu:     Einfach manchmal eine rauchen.

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